Zeitfenster Nr. 7

Ernst Bloch als Besucher des alten Nationaltheaters

Eine Schwarz-Weiß Fotographie der schlossbibliothek.
MARCHIVUM, Bildsammlung, AB00421-173
Ernst Bloch wurde in keine wohlhabende oder kunstinteressierte Familie hineingeboren, als er am 8. Juli 1885 in Ludwigshafen am Rhein zur Welt kam. Dennoch finanzierte ihm sein Vater Klavierstunden und dem erst 12-Jährigen ein Abonnement im Mannheimer Nationaltheater. Eine Folge davon war seine Schillerverehrung. Anlässlich einer Schulaufführung zum 100. Todestag von Friedrich Schiller präsentierte er sich im Offizierskostüm.
Mannheim war für Bloch die Stadt der »Jesuitenkirche, der Rokoko-Bibliothek und Schillers Hof- und Nationaltheater«. Das ehemals höfische Areal löste in ihm eine Faszination aus, die aber nicht allein historischer oder gar rückwärtsgewandter Natur war. In seinem Text Mannheim aus freundlicher Erinnerung (1931) schrieb er über seine Aufenthalte in der Schlossbibliothek:
»Nicht nur, daß sie in einem der schönsten und ernstesten Barocksäle steht und glänzt, nicht nur, daß man Bücher im selben Raum liest, worin Schiller Fiesco vorgetragen hat. (Gerade das läßt junge Menschen einen Marschallstab spüren, auch wenn er nie kommt.)«
Ihr »Zauber der Unfertigkeit« lässt ihn das Potenzial spüren, eines Tages selbst zum Bestand dieser Bibliothek beizutragen. Zu seiner geistigen Entwicklung nutzte er auch das Nationaltheater, denn »für die Hälfte Geld, das heute der billigste Platz im Kino kostet, konnte man vier Stunden Wallenstein, sechs Stunden Götterdämmerung hören«.
Früh prägten ihn die intensiven Höreindrücke beim Theaterbesuch. In seinem Essay »Die Kunst, Schiller zu sprechen« beschäftigte ihn die Schwierigkeit, bei der Rezitation den angemessenen Schillerton zu finden. Das Hörerlebnis ermöglichte ihm, eigenwillige Zusammenhänge zwischen Musik und Literatur herzustellen:
»in Mannheim spielten sie den Matrosenchor aus dem Fliegenden Holländer, den ich nicht kannte. Und da horchte ich auf, vor allem an der Stelle bei dem Matrosentanz, wo die None kommt und zu dem A in der nächsten Oktave geht. Das erinnerte mich an meinen geliebten Karl May und die englischen Seeräuber-Romane.«
Als Philosoph suchte er nach dem utopischen Gehalt der Künste. Schließlich erklärte er die Musik zur »utopisch überschreitenden Kunst schlechthin.« Sie wurde zudem zum eigenen Gegenstand in seiner Philosophie der Musik. Diese beinhaltet ausführliche Äußerungen zum Werk Richard Wagners. Bloch traf sich bei den Bayreuther Festspielen mit Wieland Wagner und verteidigte die Wagnersche Musik gegen die nationalsozialistische Vereinnahmung.
Als das neue Nationaltheater 1957 in Mannheim eröffnet wurde, erhielt Bloch in Leipzig Lehrverbot. Nach dem Besuch in Bayreuth 1961 blieb er mit seiner Familie im Westen und übersiedelte nach Tübingen.

Dr. Laura Bettag
Literatur
  • Ernst Bloch (1964). Verfremdungen II. Geographica. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
  • Ernst Bloch (1969). Die Kunst, Schiller zu sprechen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
  • Ernst Bloch Zur Philosophie der Musik (1974). Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
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