Die Uraufführung von Richard Wagners letztem Werk, dem Bühnenweihfestspiel Parsifal, fand 1882 statt. Es sollte nach Wagners Willen nur im Festspielhaus aufgeführt werden. Wagner lässt die Gralslegende im frühen Mittelalter auf dem Gebiet der Burg Montsalvat spielen. Ihm ging es nicht darum, das mittelhochdeutsche Versepos Parzival zu vertonen, sondern darum, eine Kunst-Religion auf die Bühne zu bringen. Christliche Komponenten, wie die Taufe oder das Abendmahlsritual, werden dafür aufgegriffen. Wagner, der selbst Protestant war, und seine erste Ausbildung u. a. bei einem Thomas-Kantor genossen hatte, wählte aber nicht nur einen vorreformatorischen Hintergrund, sondern auch Außerchristliches, wie die Idee der Wiedergeburt. Den Namen des Protagonisten leitete er von den angeblich persischen Worten »parsi« (= rein) und »fal«(= töricht) ab. Es verwundert nicht, dass mit dieser Philosophien-Mixtur eine längere Entstehungsgeschichte verbunden war. Wie üblich schrieb Wagner sein Libretto zwar selbst, benötigte aber für Kostüme und das Bühnenbild externe Zuarbeit. Er verpflichtete den russisch-deutschen Bühnenbildner und Schriftsteller Paul von Joukowsky, den er auf seinen Italienreisen kennengelernt hatte. Max Brückner setzte die Bühnenbildentwürfe für Bayreuth um (ZF 41). Obwohl Montsalvat als Burg der Gralsritter in Nordspanien gelegen wäre, ähnelt der Gralstempel der Uraufführung dementsprechend dem Dom von Siena. Klingsors Zaubergarten ist von der Villa Rufolo in Ravello inspiriert.
Als Wagner 1883 in Venedig starb, hinterließ er mit seinem ungewöhnlichen Konzept tatsächlich einen, wenn auch vieldeutigen, Mythos. Seiner Intention nach sollte durch die religiöse Symbolik eine »entrückende Wirkung auf das Gemüt« ausgeübt werden. Mit der politischen Realität hatte das Parsifal'sche Gedankengut nur sehr indirekt zu tun. Kompositorisch bemühte sich Wagner, das harmonische Tonsystem durch den Blick in die Vergangenheit zusammen zu halten. Wie schon im Tristan nahm er aber auch im Parsifal dessen Auflösung tendenziell vorweg. Insbesondere außermusikalisch traf er dennoch den Nerv seiner Zeit. Die Begehrlichkeiten waren derart stark, dass man Wagners Wille, das Werk nur im Festspielhaus hören zu lassen, nach Ablauf der urheberrechtlichen Schutzfrist 1913 nicht mehr respektieren wollte. In Mannheim wurde der Parsifal am 4. April 1915 »zum ersten Male« vollständig aufgeführt. Dies geschah an einem Sonntag und nicht am Karfreitag, an dem das Werk im 3. Aufzug spielt. Traditionell wird bei dem Weihefestspiel allerorten kein Beifall geklatscht – zumindest nicht nach dem 1. Akt. Zu dem Zeitpunkt der Mannheimer Erstaufführung befand sich Deutschland im 1. Weltkrieg. Der spätere Gründungsintendant des neuen Hauses am Goetheplatz Dr. Hans Schüler (1897-1963) war damals in militärischen Diensten und Kriegsteilnehmer. In Berlin als Sohn eines höheren Hofbeamten für die preußischen Hoftheater geboren, studierte er ab 1920 Philosophie, Literatur, Kunstgeschichte und Musikwissenschaft in Berlin und Würzburg. Dort wurde er mit der Dissertation »Die deutsche Karfreitagspoesie von den Anfängen bis zur Gegenwart« promoviert. Nach einer facettenreichen Theaterlaufbahn als Regisseur und Intendant kam er 1951 an das Mannheimer Nationaltheater. Hier wartete nichts weniger als der Wiederaufbau eines traditionsreichen und bedeutenden Theaterlebens auf ihn. Hans Schüler gestaltete diese Herkules-Aufgabe fulminant und wurde mit zahlreichen Ehrungen dafür bedacht (ZF 25). Nach der Eröffnung des neuen Hauses im Januar 1957 nahm Schüler als Regisseur sein Opus summum in Angriff: er inszenierte den ersten Mannheimer Parsifal nach dem 2. Weltkrieg.
Die Premiere fand am Karfreitag, den 14. April 1957 statt. Schüler setzte bei seiner Inszenierung auf die neuen technischen Möglichkeiten des Hauses. Sowohl die Drehbühne, als auch Projektionen auf Schleier-Vorhänge kamen zum Einsatz. Was den Inszenierungsstil betraf, orientierte auch er sich, wie damals bei allem, was mit Wagners Werk zu tun hatte, an den Tendenzen in Bayreuth. Wieland Wagner hatte »Neu-Bayreuth« entwickelt, da das Festspielhaus aufgrund der Verstrickungen mit dem Nationalsozialismus nach Kriegsende zu einem bloßen Veranstaltungshaus profaniert zu werden drohte. Sven Friedrich, der Leiter des Richard-Wagner-Museums, bezweifelt jedoch, dass es damit tatsächlich zu einem wirklichen Neubeginn gekommen war. Es stellt sich ihm die Frage, ob die fortbestehende Gesinnung hinter den monochromen Flächen des Bühnenraums verdeckt und verharmlost werden sollte. Eine offen kritische Auseinandersetzung mit Wagners Werk geschah erst in den 70er-Jahren durch Hartmut Zelinskys Buch Richard Wagner – ein deutsches Thema. Eine Dokumentation zur Wirkungsgeschichte Richard Wagners 1876-1976.
Hans Schüler machte sich für seine Parsifal-Inszenierung auf die Suche nach einem klugen Mittelweg. Einerseits hatte er mit Experimentellem in Mannheim bereits Proteste des Publikums erleben müssen, andererseits besaß er einen glaubwürdigen Distanzierungswillen gegenüber der nationalsozialistischen Ästhetik. Schließlich lernte er schon 1920 bei Erwin Piscator und wurde später Regieassistent bei Leopold Jessner und Max Reinhardt. Er war mit deren Bestrebungen vertraut, z.B. durch Lichtregie zu reduzieren und zu »rationalisieren«. Auch die Reformvorschläge (ZF 41) in Bezug auf einen (zu) dekorativen Bayreuther Ausstattungsstil dürften ihm nicht entgangen sein. Dabei ging es um die gezielte Monumentalisierung des Bühnenbilds, die mit einer Vereinfachung bzw. Abstraktion der Formensprache einhergehen sollte. Nach dem 2. Weltkrieg stellte sich die berechtigte Frage, von was man abstrahiert wollte. Wie aus Schülers Nachlass hervorgeht, suchte er anhand von schwarz-weiß-Kopien der Bayreuther Originalentwürfe von 1882 nach Abstraktionspotential beim Bühnenbild. Drei abstrahierende Transformationen entstanden bzw. sind erhalten:
Als Wagner 1883 in Venedig starb, hinterließ er mit seinem ungewöhnlichen Konzept tatsächlich einen, wenn auch vieldeutigen, Mythos. Seiner Intention nach sollte durch die religiöse Symbolik eine »entrückende Wirkung auf das Gemüt« ausgeübt werden. Mit der politischen Realität hatte das Parsifal'sche Gedankengut nur sehr indirekt zu tun. Kompositorisch bemühte sich Wagner, das harmonische Tonsystem durch den Blick in die Vergangenheit zusammen zu halten. Wie schon im Tristan nahm er aber auch im Parsifal dessen Auflösung tendenziell vorweg. Insbesondere außermusikalisch traf er dennoch den Nerv seiner Zeit. Die Begehrlichkeiten waren derart stark, dass man Wagners Wille, das Werk nur im Festspielhaus hören zu lassen, nach Ablauf der urheberrechtlichen Schutzfrist 1913 nicht mehr respektieren wollte. In Mannheim wurde der Parsifal am 4. April 1915 »zum ersten Male« vollständig aufgeführt. Dies geschah an einem Sonntag und nicht am Karfreitag, an dem das Werk im 3. Aufzug spielt. Traditionell wird bei dem Weihefestspiel allerorten kein Beifall geklatscht – zumindest nicht nach dem 1. Akt. Zu dem Zeitpunkt der Mannheimer Erstaufführung befand sich Deutschland im 1. Weltkrieg. Der spätere Gründungsintendant des neuen Hauses am Goetheplatz Dr. Hans Schüler (1897-1963) war damals in militärischen Diensten und Kriegsteilnehmer. In Berlin als Sohn eines höheren Hofbeamten für die preußischen Hoftheater geboren, studierte er ab 1920 Philosophie, Literatur, Kunstgeschichte und Musikwissenschaft in Berlin und Würzburg. Dort wurde er mit der Dissertation »Die deutsche Karfreitagspoesie von den Anfängen bis zur Gegenwart« promoviert. Nach einer facettenreichen Theaterlaufbahn als Regisseur und Intendant kam er 1951 an das Mannheimer Nationaltheater. Hier wartete nichts weniger als der Wiederaufbau eines traditionsreichen und bedeutenden Theaterlebens auf ihn. Hans Schüler gestaltete diese Herkules-Aufgabe fulminant und wurde mit zahlreichen Ehrungen dafür bedacht (ZF 25). Nach der Eröffnung des neuen Hauses im Januar 1957 nahm Schüler als Regisseur sein Opus summum in Angriff: er inszenierte den ersten Mannheimer Parsifal nach dem 2. Weltkrieg.
Die Premiere fand am Karfreitag, den 14. April 1957 statt. Schüler setzte bei seiner Inszenierung auf die neuen technischen Möglichkeiten des Hauses. Sowohl die Drehbühne, als auch Projektionen auf Schleier-Vorhänge kamen zum Einsatz. Was den Inszenierungsstil betraf, orientierte auch er sich, wie damals bei allem, was mit Wagners Werk zu tun hatte, an den Tendenzen in Bayreuth. Wieland Wagner hatte »Neu-Bayreuth« entwickelt, da das Festspielhaus aufgrund der Verstrickungen mit dem Nationalsozialismus nach Kriegsende zu einem bloßen Veranstaltungshaus profaniert zu werden drohte. Sven Friedrich, der Leiter des Richard-Wagner-Museums, bezweifelt jedoch, dass es damit tatsächlich zu einem wirklichen Neubeginn gekommen war. Es stellt sich ihm die Frage, ob die fortbestehende Gesinnung hinter den monochromen Flächen des Bühnenraums verdeckt und verharmlost werden sollte. Eine offen kritische Auseinandersetzung mit Wagners Werk geschah erst in den 70er-Jahren durch Hartmut Zelinskys Buch Richard Wagner – ein deutsches Thema. Eine Dokumentation zur Wirkungsgeschichte Richard Wagners 1876-1976.
Hans Schüler machte sich für seine Parsifal-Inszenierung auf die Suche nach einem klugen Mittelweg. Einerseits hatte er mit Experimentellem in Mannheim bereits Proteste des Publikums erleben müssen, andererseits besaß er einen glaubwürdigen Distanzierungswillen gegenüber der nationalsozialistischen Ästhetik. Schließlich lernte er schon 1920 bei Erwin Piscator und wurde später Regieassistent bei Leopold Jessner und Max Reinhardt. Er war mit deren Bestrebungen vertraut, z.B. durch Lichtregie zu reduzieren und zu »rationalisieren«. Auch die Reformvorschläge (ZF 41) in Bezug auf einen (zu) dekorativen Bayreuther Ausstattungsstil dürften ihm nicht entgangen sein. Dabei ging es um die gezielte Monumentalisierung des Bühnenbilds, die mit einer Vereinfachung bzw. Abstraktion der Formensprache einhergehen sollte. Nach dem 2. Weltkrieg stellte sich die berechtigte Frage, von was man abstrahiert wollte. Wie aus Schülers Nachlass hervorgeht, suchte er anhand von schwarz-weiß-Kopien der Bayreuther Originalentwürfe von 1882 nach Abstraktionspotential beim Bühnenbild. Drei abstrahierende Transformationen entstanden bzw. sind erhalten:
Für den mystisch-sakral aufgeladenen Stoff intensivierte Schüler den Abstraktionsgrad, indem er weitere Abstraktionsebenen hinzunahm. Sein Inszenierungs-Grundriss zeigt die christliche Kreuzes-Symbolik als durchgängig erkennbares Bodenmuster:
Seine Interpretation des »Less is more« hatte Erfolg und zog bis heute eine Vielzahl lobender Artikel (sogar kirchlicher Kreise) nach sich. 2018 wurden zwischenzeitlich lädierte oder ganz verbrauchte Elemente der Inszenierung mit Hilfe von Spendengeldern des Richard-Wagner-Verbandes und der Freunde und Förderer des Nationaltheaters liebevoll und findig zugleich in Stand gesetzt. Für die Rekonstruktion der Regie und ihres Entstehungsprozesses stehen Schülers Regieunterlagen (Bühnenpläne, Bühnenbildentwürfe, Zeitungsausschnitte) und sein Regieauszug zur Verfügung. Wie üblich arbeitete er mit einem Klavierauszug, bei dem bei Bedarf leere Blätter zwischen den einzelnen Seiten eingefügt wurden. Darauf wurden Regieanweisungen, Auf- und Abtritte, Laufwege und weitere wichtige Angaben zum Verlauf des Stückes festgehalten. Bei späteren Aufführungen können die Aufzeichnungen auch in Abwesenheit des Regieführenden genutzt werden. Schülers Parsifal-Inszenierung steht bis heute ohne Unterbrechung auf dem Mannheimer Spielplan. Die älteste noch gespielte Operninszenierung im deutschsprachigen Raum ist aufgrund der personellen Fluktuation fortlaufend Besetzungsänderungen unterworfen. Ein Theaterzettel aus dem Jahr 1973 weist einen Gast vom Staatstheater Stuttgart auf. Klaus Hirte musste kurzfrstig das Ensemblemitglied Karl Heinz Herr als Klingsor ersetzen:
Bei Lektüre des Besetzungszettels fällt überdies auf, dass nur die sechs singenden Blumenmädchen namentlich genannt werden. Da auch keine choreografierende Person aufgeführt ist, ist anzunehmen, dass Hans Schüler diese Aufgabe selbst übernommen hat. In seinem Regieauszug sind detaillierte Angaben zu den Bodenwegen aller Blumenmädchen gemacht: die singenden in Grün und die nicht singenden (»Ballett«) in Orange. Die Farbigkeit von Klingsors Zaubergarten fällt im Vergleich zum Entwurfsaquarell wesentlich pastelliger und lichter aus:
Im Regiebuch Schülers ist eine ähnliche Szenerie folgendermaßen dargestellt:
Fünf Jahre nach seiner epochalen Parsifal-Inszenierung ging es Hans Schüler gesundheitlich zunehmend schlechter. Man erzählt sich heute noch ehrfürchtig, dass er am 23. Juni 1963 verstarb – kurz nachdem die Vorstellung seines Parsifal begonnen hatte. Hans Schüler ist auf dem Mannheimer Hauptfriedhof begraben. 1982 wurde eine Straße nach ihm benannt:
Dr. Laura Bettag
Bildnachweise, Literatur und Links:
- Kachelbild: Hans Schüler als Regisseur bei der Arbeit am Parsifal. © Robert Häusser – Robert-Häusser-Archiv/Curt-Engelhorn-Stiftung, Mannheim.
- Regieunterlagen (S. 17) und Regiebuch (S. 331) vgl. MARCHIVUM, Nachlässe, NL Schüler, Hans. Verfügbar unter https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/
- Theaterzettel von Parsifal verfügbar unter https://druckschriften-digital.marchivum.de
- Sven Friedrich (2022). Neu-Bayreuth? - Mythos und Realität der „Stunde Null“. Vortrag vom 8.6.2022, Fritz-Bauer-Institut, Frankfurt a.M. Abrufbar unter: https://video01.uni-frankfurt.de/Mediasite/Play/7a5ff2b47eee4ff08e118f9d3a07117f1d
- Peter W. Ragge (13.3.2018). Neuer Glanz für die Gralsburg. Verfügbar unter https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-nationaltheater-neuer-glanz-fuer-die-gralsburg-_arid,1214544.html
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