Zeitfenster Nr. 33

Wer war Georg Zimmermann?

Von Zeit zu Zeit erreichen das Nationaltheater Mannheim Anfragen von Personen, die Familienforschung betreiben. Sie beschäftigt die Frage, wie das Leben des Familienmitglieds am Theater ausgesehen hat. Die Recherchen verlaufen unterschiedlich erfolgreich, je nachdem, wie sich die z.B. im Marchivum erhaltenen Informationen durch die Angaben aus der Familie ergänzen lassen und umgekehrt. Im Fall von Adam Zimmermann ergab sich nach und nach ein differenzierteres Bild seiner beruflichen Tätigkeit. Zuvor kannte man ihn »nur« als den Inspizienten Georg Zimmermann, der in der Festschrift von 1957 als solcher genannt war. Durch die im Nachlass Walbröhl aufgefundenen Programmblätter von zwei Schauspielen wurde dies bestätigt, da er auf diesen Besetzungszetteln als Inspizient genannt wurde (ZF 22). Inspizient*in ist ein Bühnenberuf, der*die an der Seitenbühne die Auftritte der Mitwirkenden und den gesamten Ablauf einer Vorstellung überwacht und nötigenfalls ordnend eingreift.
Über die Verwandten erfuhren wir, dass er sich einen Künstlernamen zugelegt hatte und ursprünglich Adam Zimmermann hieß. Nach Angaben des Marchivums war er von 1934 bis 1962 am Nationaltheater Mannheim als Inspizient und Schauspieler beschäftigt. Kaum mehr ist über ihn aktenkundig, als dass er im April 1962 in Mannheim verstarb.
Durch die Angaben der Familie konnte zudem ergänzt werden, dass er am 3. November 1903 in Hargesheim in der Nähe von Bad Kreuznach geboren wurde. Seine Eltern waren Johann Ludwig Zimmermann (1874 – 1963) und Elisabetha Plaul (1880 – 1941). Sein Vater arbeitete im Raum Hargesheim als Glaser. Anfang 1907 zog die Familie nach Essen um. Dort war der Vater bei der Firma Krupp als Schreiner tätig. In den 1920er-Jahren verließ Zimmermann das Elternhaus in Essen, vermutlich nach seiner Volljährigkeit. Nach überlieferten Erinnerungen aus dem Familienkreis sei er von zu Hause »abgehauen«, weil er sich mit seinem Vater nicht gut verstand und Schauspieler werden wollte. Ob, wo und wann er eine Theaterausbildung erfahren hat, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall ist er in den 1930er-Jahren in Mannheim angekommen. Seitdem wird er unter seinem Künstlernamen Georg Zimmermann geführt. Durch Studium der Adressbücher der Stadt Mannheim konnten zwei seiner Wohnorte in der Mannheimer Richard-Wagner-Straße und der Augusta-Anlage nach dem 2. Weltkrieg ermittelt werden. Die Adressbücher verzeichneten auch Berufe: so wird er im Adressbuch von 1949 als »Inspizient« bezeichnet, aber sonst durchgängig als »Schauspieler«. Wo Georg Zimmermann von 1934 bis 1949 gewohnt hat, weiß man derzeit nicht. Es ist anzunehmen, dass er zur Untermiete wohnte. was in den Adressbüchern nicht erfasst wurde. Eventuell geben noch vorhandene Meldekarten darüber Auskunft. Neben biografischen Angaben sind noch zwei sog. Bühnenblätter aus der Kriegszeit innerhalb der Familie vorhanden. Dies waren sehr einfache Programmhefte, bestehend aus zwei dünnen Bögen mit jeweils vier Seiten in DIN A 5. In dieser Form erschienen die sog. Bühnenblätter von der Spielzeit 1930.31 bis 1940.41. In beiden Exemplaren von 1942 und 1941 waren die Besetzungen abgedruckt. Am 20. Juni 1942 war Georg Zimmermann in der Posse Die schlaue Susanne in der Rolle eines »Dieners« besetzt. Am 30. Dezember 1941 war er in der Komödie Kirschen für Rom in der Rolle »eines Postens« zu sehen. Gleichzeitig ist er dabei auf dem Programmzettel als Inspizient genannt.
Vergilbter Programmzettel in altdeutscher Schrift.
Wirft man einen kritischen Blick auf die Grafik des Bühnenblatts zu den Kirschen, fällt der Schriftmix mit Schwerpunkt auf der Frakturschrift auf.Auf dem Deckblatt wird der Namenszug des Nationaltheaters in Antiqua grotesk verwendet und mit einer Handzeichnung des Nationaltheater-Portals auf B 3 kombiniert. Typografisch stoßen hier Welten aufeinander, wobei gerade ein solches Mischungsverhältnis für die Gleichzeitigkeit eigentlich widersprüchlicher Werthaltungen dieser Zeit steht. Je nach politischer Anschauung konnte man in das Stück Kirschen für Rom pazifistische Ansätze hineinlesen – oder nicht. Dieser Lesart als Komödie um einen kriegsmüden Feldherrn mit humanistischer Gesinnung neigte der spätere Bundespräsident Theodor Heuss so sehr zu, dass man das Stück zu dessen Geburtstag 1954 als Sondervorstellung aufführte.
Möglicherweise hat Autor Hans Hömberg bewusst auf der Klaviatur opportuner Sichtweisen gespielt. Annähernd zeitgleich mit der Komödie Kirschen für Rom schrieb er unter dem Pseudonym J. R. George den Roman zu dem heute verbotenen Nazi-Propaganda-Film Jud Süß.
Von der Mannheimer Inszenierung der Kirschen ist lediglich ein Szenenfoto einer weiblichen Hauptrolle zu finden. Über die Tätigkeit von Nebendarsteller*innen erfährt man meist nur etwas über die Theaterzettel. Eine weitere Variante des Einsatzes von Georg Zimmermann war durch das Programmheft der Festwoche 1948 zu ermitteln, wo er bei Dantons Tod in einer Neuinszenierung am 9. Mai mitwirkte. Besetzt ist er in zwei kleineren Rollen als »1. Bürger« und als »Bürgerwache«. Inspizient ist diesmal nicht er, sondern Hans Müller. Neben dessen Tätigkeit sind die geforderte Statisterie sowie die Funktion eines Regie-Assistenten genannt. Dieser Assistent, der spätere SDR-Hörspieldramaturg Hans-Jochen Schale (1925 – 2013) verantwortete zudem das gesamte Programmheft der Festwoche nebst Originalbeitrag von ihm.
Flexibilität war in Theater und Film immer gefragt! Im Verwandtenkreis Zimmermanns erzählte man sich, dass er bei dem in Mannheim spielenden Nachkriegskrimi von 1950 Wer fuhr den grauen Ford mitgewirkt haben soll. Aber in welcher Weise? Auf den vorliegenden Besetzungslisten sind die bekannten Nationaltheater-Schauspieler Walter Pott (ZF 31) und Walter Vits-Mühlen aufgeführt, nicht aber Georg Zimmermann. Es liegt nahe, dass er wieder als Inspizient im Einsatz war. Hätte er als Schauspieler oder Statist mitgewirkt, könnte man zumindest theoretisch wissen, wie er zu diesem Zeitpunkt ausgesehen haben mag. Jedoch hätte man dem Bildmaterial aber noch den korrekten Namen zuweisen müssen. Dies wäre vielleicht im Ausschlussverfahren bei dem erhaltenen Fotomaterial der Räuber-Inszenierung Erwin Piscators von 1957 denkbar. Georg Zimmermann ist als »Ein anderer Räuber« auf dem Besetzungszettel der Premiere genannt. Gelänge die Identifizierung, könnte vor allem die Familie ein realeres Bild von ihm gewinnen. Die Recherche zu Georg Zimmermann zeigt zudem: verfolgt man in den Altbeständen eine einmal entdeckte Spur, erhöht sich in vielen Fällen die Chance, doch noch auf das Gesuchte zu stoßen.
Ein Ensemble mit Fotos in einer Spielzeitbroschüre vollständig und in trendigem Design zu präsentieren, entwickelte sich erst nach Georg Zimmermanns Zeit. Heutzutage könnte sich ein langjähriges Theatermitglied wie er ohne größere technische oder finanzielle Hindernisse einen eigenen Webauftritt aufbauen, wenn ihm dies wichtig wäre.

Dr. Laura Bettag
Bildnachweise, Literatur und Links:
  • Nationaltheater Mannheim (Hg.)(1941). Bühnenblatt Kirschen für Rom vom 30.12.1941. Die Handzeichnung auf dem Deckblatt ähnelt dem Stil, wie er nach dem Krieg von Hans Roden für die Werbebroschüre konservativerer Kreise zum Wiederaufbau des Theaters im Mannheimer Schloss verwendet wurde.
  • Nationaltheater Mannheim (Hg.)(1948). Besetzungszettel Dantons Tod von Georg Büchner. In: 1848 - Zum Gedächtnis der deutschen Revolution. Festwoche vom 8. bis 15. Mai 1948, S. 7.
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