Im Januar 1957 war es endlich so weit: das neue Nationaltheater am Goetheplatz stand vor der Eröffnung. Noch bis Anfang Dezember 1956 wurden die Schauburg und der Rosengarten als Hauptbühnen bespielt. Bereits während seiner Entstehungszeit bereitete man parallel die Eröffnungsfeierlichkeiten für das neue Gebäude vor, wie z.B. durch eine vielbeachtete Grundsteinlegung im Jahr 1954. Sukzessive Fahrt nahm das öffentliche Interesse durch die Verpflichtung des Intendanten und Regisseurs Hans Schüler auf. Aus der Rückschau betrachtet gelang es ihm, nahezu alle Unterstützergruppen der Stadtgesellschaft in (oder durch) das Vorhaben des Theaterneubaus zu vereinen. Dies war keineswegs ein Kinderspiel, da gegensätzliche politische Haltungen mit ihren jeweils unterschiedlichen Auffassungen von der zukünftigen Theaterpolitik vorlagen. Schülers ästhetisch-künstlerische Vorstellungen setzten sich jedoch durch. Er dachte »groß« und gab den in Mannheim bestehenden Überzeugungen Raum. Ein konstruktives Zusammenwirken mit den Vertretern der Besatzungsmächte, der Politik und der Wirtschaft war ein wichtiger Bestandteil seiner Aufgaben, was auf zahlreichen Fotos mit entsprechenden Würdenträgern zu erkennen ist.
Der baden-württembergische Ministerpräsident Gebhard Müller verlieh Hans Schüler das Bundesverdienstkreuz im Rahmen des Eröffnungstages am 12. Januar 1957 für geladene Gäste. Das Interesse der Mannheimer Bevölkerung an solch repräsentativen Auftritten war zweifelsohne groß, da man dies auch als Ausdruck der Wertschätzung für den Mannheimer Theaterenthusiasmus empfand. Für das Wohl und Wehe des Nationaltheaters interessierten sich breite, wenn nicht alle Bevölkerungsschichten, was die rege Nachfrage an zwei Theatertombolen (s. Zeitfenster 24) für den Wiederaufbau des Theaters bewies. Dabei ließen sich Theaterleidenschaft, ideelle Unterstützung für die »Kunscht« mit den materiellen Bedürfnissen nach gehobenem Konsum zum allseitigen Nutzen verbinden. Es wurden bis 1956 über 2,5 Millionen Lose verkauft, deren Reingewinn in die Finanzierung des Hauses floss. Die erste Aufführung im neuen Haus war am 10. Januar 1957 den am »Theaterbau Beschäftigten« als Voraufführung der ersten Premiere im Großen Haus vorbehalten. Am 12. Januar gab es Voraufführungen für die Ehrengäste. Schließlich bedankte sich das Theater am 13. Januar mit den eigentlichen festlichen Eröffnungsvorstellungen für »langjährige Platzmieter und Mitglieder der Theatergemeinde sowie Spender für den Theaterneubau«.
Carl Maria von Webers Der Freischütz in der Inszenierung Hans Schülers war die erste Premiere im Großen Haus. Auch hier griff man auf die damalig bewährte Strategie zurück, mit der Auswahl des Stücks symbolisch an die historische Tradition des Nationaltheaters anzuknüpfen. Dieses Werk war ebenfalls als erste Premiere der Spielzeit 1943/44 geplant gewesen. Sie wurde zur letzten Vorstellung überhaupt, die am 5. September 1943 im alten Nationaltheater auf B 3 über die Bühne ging. In der folgenden Nacht zerstörten die Bombenangriffe das Haus. Der Spielbetrieb ging dennoch an anderer Stelle weiter, bis Joseph Goebbels als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda die Einstellung des Theaterbetriebs zum 1. September 1944 für alle Theater in Deutschland verfügte.
Zu Carl Maria von Weber hätte es zusätzliche lokalhistorische Bezüge gegeben, die bei der Stückwahl zur Wiedereröffnung 1957 keine Rolle gespielt haben dürften. Webers Onkel, der Bassist, Souffleur und Kopist Franz Fridolin Weber war mit einer Mannheimerin verheiratet und lebte einige Zeit in Mannheim. Beide sind die Schwiegereltern Mozarts.
Dass man im Schauspiel Friedrich Schillers Die Räuber geben wollte und dies 175 Jahre nach der Uraufführung am 13. Januar 1782, war naheliegend. Genauso folgerichtig war die Verpflichtung des aus der Emigration zurückgekehrten Erwin Piscator (1893 – 1966) als Regisseur. Er kannte die Idee der Raumbühne seit ihrer Entwicklung in den 20er-Jahren und konnte sie im Kleinen Hauses für Die Räuber zur Umsetzung bringen. Die (noch erhaltene) Bühnenmusik stammte von der in Mannheim geborenen Aleida Montijn (1908 – 1989).
Am 14. Januar 1957 erhielt das Ballett des Nationaltheaters die Gelegenheit, die ursprünglichen Entstehungszeiten der Stücke mit ihrer aktuellen Inszenierungs- bzw. Einstudierungszeit in einer eigenen Variante zu kombinieren. Hierbei traf die Vorkriegs-Moderne mit vorromantischen Akzenten unter internationalerer Perspektive zusammen. Unter Ingeborg Guttmann (1922 – 1995), der leitenden Ballettmeisterin des Hauses, wurden Medea von Martha Graham (Musik: Samuel Barber), Der Dreispitz von Gregorio Martínez Sierra (Musik: Manuel de Falla) sowie die Choreografie der Vier Jahreszeiten (Musik: Antonio Vivaldi) zur Mannheimer Erstaufführung gebracht. Die teils historisierende Ausrichtung des Spielplans hing zudem mit der Tatsache zusammen, dass Mannheim 1957 auch noch sein 350-jähriges Stadtjubiläum feierte. Die Rückbesinnung auf die Anfänge des Mannheimer Theaters war aber theaterintern stark durch die nachholende Neuausrichtung auf die Moderne unter weitgehender Aussparung der Zeit des Nationalsozialismus bestimmt. Im Schauspiel und vor allem in der Oper nahm man den Freischütz oder im gleichen Jahr Wagners Parsifal an exponierter Stelle wieder in den Spielplan. Sie fielen in einem Haus an anderer Stelle mit neuen bühnentechnischen Gestaltungsmöglichkeiten und einem bewusst anderen Inszenierungsstil unweigerlich anders aus. Dabei ästhetische Ausdrucksformen zu finden und zu festigen, wurde zur Daueraufgabe des Mannheimer Nachkriegstheaters. Der deutschlandweit beachteten Dokumentarfilm »Impressionen aus einem Theater«, die Prämierung der Theaterbauten von Gerhard Weber auf der 4. internationalen Bauausstellung in São Paulo sowie die Auslobung eines Autorenwettbewerbs für zeitgenössische deutschsprachige Dramatik halfen dabei.
Zu Carl Maria von Weber hätte es zusätzliche lokalhistorische Bezüge gegeben, die bei der Stückwahl zur Wiedereröffnung 1957 keine Rolle gespielt haben dürften. Webers Onkel, der Bassist, Souffleur und Kopist Franz Fridolin Weber war mit einer Mannheimerin verheiratet und lebte einige Zeit in Mannheim. Beide sind die Schwiegereltern Mozarts.
Dass man im Schauspiel Friedrich Schillers Die Räuber geben wollte und dies 175 Jahre nach der Uraufführung am 13. Januar 1782, war naheliegend. Genauso folgerichtig war die Verpflichtung des aus der Emigration zurückgekehrten Erwin Piscator (1893 – 1966) als Regisseur. Er kannte die Idee der Raumbühne seit ihrer Entwicklung in den 20er-Jahren und konnte sie im Kleinen Hauses für Die Räuber zur Umsetzung bringen. Die (noch erhaltene) Bühnenmusik stammte von der in Mannheim geborenen Aleida Montijn (1908 – 1989).
Am 14. Januar 1957 erhielt das Ballett des Nationaltheaters die Gelegenheit, die ursprünglichen Entstehungszeiten der Stücke mit ihrer aktuellen Inszenierungs- bzw. Einstudierungszeit in einer eigenen Variante zu kombinieren. Hierbei traf die Vorkriegs-Moderne mit vorromantischen Akzenten unter internationalerer Perspektive zusammen. Unter Ingeborg Guttmann (1922 – 1995), der leitenden Ballettmeisterin des Hauses, wurden Medea von Martha Graham (Musik: Samuel Barber), Der Dreispitz von Gregorio Martínez Sierra (Musik: Manuel de Falla) sowie die Choreografie der Vier Jahreszeiten (Musik: Antonio Vivaldi) zur Mannheimer Erstaufführung gebracht. Die teils historisierende Ausrichtung des Spielplans hing zudem mit der Tatsache zusammen, dass Mannheim 1957 auch noch sein 350-jähriges Stadtjubiläum feierte. Die Rückbesinnung auf die Anfänge des Mannheimer Theaters war aber theaterintern stark durch die nachholende Neuausrichtung auf die Moderne unter weitgehender Aussparung der Zeit des Nationalsozialismus bestimmt. Im Schauspiel und vor allem in der Oper nahm man den Freischütz oder im gleichen Jahr Wagners Parsifal an exponierter Stelle wieder in den Spielplan. Sie fielen in einem Haus an anderer Stelle mit neuen bühnentechnischen Gestaltungsmöglichkeiten und einem bewusst anderen Inszenierungsstil unweigerlich anders aus. Dabei ästhetische Ausdrucksformen zu finden und zu festigen, wurde zur Daueraufgabe des Mannheimer Nachkriegstheaters. Der deutschlandweit beachteten Dokumentarfilm »Impressionen aus einem Theater«, die Prämierung der Theaterbauten von Gerhard Weber auf der 4. internationalen Bauausstellung in São Paulo sowie die Auslobung eines Autorenwettbewerbs für zeitgenössische deutschsprachige Dramatik halfen dabei.
Dr. Laura Bettag
Bildnachweise, Literatur und Links
- Kachelbild: MARCHIVUM, Bildsammlung, AB00352-028
- Curt Oertel (1957). Impressionen aus einem Theater. Dokumentarfilm. UA am 27.5.1957 innerhalb der Mannheimer Kultur- und Dokumentarfilmwoche 27. Mai - 1. Juni 1957.
- Prefeitura de São Paulo (Ed.)(1957). IV Bienal do Museum de Arte Moderne de S. Paulo, Catálogo geral.
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