Zeitfenster Nr. 22

Die ersten Medien im Spielbetrieb des Wiederanfangs nach 1945

Die Spielplanpolitik der Nachkriegszeit war von zwei wesentlichen Komponenten bestimmt: erstens davon, den Anschluss an die wichtigen Strömungen der Vorkriegszeit zu finden, von denen man sich durch den Nationalsozialismus abgeschnitten sah. Zweitens ging es darum, die Mannheimer/innen mit den Entwicklungen des Theaters außerhalb Deutschlands vertraut zu machen. Dies geschah 1956 durch eine Briefaktion an Bühnenautoren des In- und Auslands, bei der die Theaterleitung um persönlich gehaltene Beiträge zur Eröffnung des neuen Nationaltheaters bat. Die Schreiben waren in deutscher, englischer, französischer und italienischer Sprache abgefasst. Sie sollten in deutscher Übersetzung in der Festschrift zur Eröffnung des neuen Hauses abgedruckt werden. Es fällt aus heutiger Sicht auf, dass die Anfragen nur an Autoren aus Schauspiel und Musiktheater gerichtet wurden. Frauen wurden nicht berücksichtigt.
Unter den Antworten in der Sparte Schauspiel entdeckt man drei amerikanische Schriftsteller: Thornton Wilder (*1897), William Saroyan (*1908) und Arthur Miller (*1915). Zum Beitrag von Tennessee Williams (*1911) kam es nicht. Unabhängig davon hatte die amerikanische Militärregierung den Wiederaufbau des Theaterbetriebs in »Mannheim, Heidelberg und Schwetzingen« (s. 175 Jahre, S. 118) bereits 1945/46 veranlasst. Im Zuge dessen wurde der in Oldenburg geborene Journalist Carl Onno Eisenbart als Intendant eingesetzt. Seine Befugnisse waren vertraglich festgelegt, u. a. hatte er sicherzustellen,
»daß sämtliche Zeitungen, Bücher, Zeitschriften, Broschüren, Plakate, Musikalien oder irgendwelche anderen Veröffentlichungen, ebenso Schallplatten und sonstige Tonaufnahmen und Filme, die gemäß dieser Zulassung hergestellt oder veröffentlicht werden, folgende Aufschrift in vorgeschriebener Weise tragen: 'Veröffentlicht (oder hergestellt) unter der Zulassung Nr. 5004 der Nachrichtenkontrolle der Militärregierung.'«
Carl Onno Eisenbart (1885 – 1974) legte sein Amt nach einem Jahr nieder, um als Feuilleton-Chef der neugegründeten Mannheimer Zeitung zu arbeiten.
Am Nationaltheater fühlte man sich besonders in der Nachkriegszeit einer fortschrittlichen Spielplanpolitik verbunden und empfand das Wirken der Militärregierung (aus heutiger Sicht) nicht zwingend als Einmischung. Ein zentraler Anspruch der damaligen Zeit war es, zur Völkerverständigung beizutragen. Entscheidend war aber bei der Auswahl eines Stücks für den Spielplan in der Regel die Einschätzung seines künstlerischen Wertes. Bei Thornton Wilder gab es diesbezüglich keine Zweifel. Ihm wurde der Pulitzer-Preis dreimal verliehen. Am Nationaltheater wurden drei seiner Werke aufgeführt: 1948: Wir sind noch einmal davon gekommen, 1951: Unsere kleine Stadt und 1955: Die Heiratsvermittlerin. Unsere kleine Stadt inszenierte der Schauspieler und Regisseur Heinrich Sauer (1917 – 2002), der später auch für das Fernsehen tätig wurde. Die Kritik lobte die Herangehensweise der Inszenierung an das alltägliche Leben einer Stadt in Amerika, die »ebenso am Rhein oder am Necker« gelegen sein könnte. Durch die Reduktion der Ausstattung und den Verzicht auf Äußerlichkeiten war es dem Zuschauer überlassen, »Dinge zu sehen, die er auf der Bühne nicht sieht, Gegenstände, die irgend jemand in die Hand nimmt und doch nur durch die Bewegung gleichsam sichtbar macht.«
An diesen Kriterien orientierte sich auch das zugehörige Bühnenbild von Hansheinrich Palitzsch (s. Zeitfenster 16), das den »linearen Umriß« betonte und damit »der Phantasie des Zuschauers freies Spiel« ließ. Fotografien der Szenen, wie sie heute üblich sind, gab es zu dieser Zeit nicht. Anlässlich der Premierenkritik wurde deshalb ein von Hand gefertigtes Szenenbild aus dem 1. Akt von »Die kleine Stadt (sic!)« veröffentlicht. Es ähnelt der Handzeichnung eines Bildenden Künstlers, der Palitzsch ursprünglich auch war.

Bleistiftzeichnung Bühnenbild. Ein Mann steht in der mitte, auf Emporen rechts und links blickt jeweils eine Frau auf die Bühne. Hinter ihm befindet sich auf einer erhöhten Ebene eine abendgesellschaft. Der Untertitel der Zeichnung lautet: Bühnenbild aus dem 1. Akt von Die kleine Stadt.
Zu dem ebenfalls von Palitzsch ausgestatteten Stück Sonnenfinsternis des Pulitzer-Preisträgers Sidney Kingsley (1906 – 1995) wurden Fotos präsentiert. Die deutsche Erstaufführung fand am 01.02.1953 im Mozartsaal statt und polarisierte ungewöhnlich stark. Chefdramaturg C. H. Drese nannte es gar ein »Hetzstück«, das die »unselige Spaltung Deutschlands« (vgl. 175 Jahre, S. 119) vorantreiben könnte. Der Fotograf Adolf Falk verstand es dennoch, seinen Aufnahmen einen eigenständigen visuellen Ausdruckscharakter zu verleihen. Ein Szenenfoto aus dieser Produktion ist Bestandteil des lesenswerten Artikels über die Entwicklung der Theaterfotografie von Claudia Balk (S. 468).
Auch die Mediengeschichte des Programmhefts unterlag einer vielgestaltigen Entwicklung. In der unmittelbaren Nachkriegszeit waren Programmhefte allenfalls als erweiterte Theaterzettel zu bezeichnen. Sie waren in aller Regel schlicht, von geringem Umfang und in schwarz-weiß gehalten. Zwei Druckbögen ergaben acht Din A 5-Seiten, die in der Mitte mit einer Heftklammer zusammengehalten wurden. Auf der letzten Seite ganz unten und sehr klein war der obligatorische Vermerk Produced under License-Number 5004 of Military Government angebracht. Im Nachlass von Clara Walbröhl (s. Zeitfenster 9) finden sich einige dieser frühen Programmhefte von 1946.
Cover eines Programmhefts. Der Text auf dem vergilbten Papier liest sich von oben nach unten: Nationaltheater Mannheim. (Logo der stadt Mannheim). Mittwoch, 12. Juni 1946, 250. Vorstellung. X Y Z, Spiel zu Dreien in 3 Aufzügen. Von Klabund. Anfang 18:30 Uhr, Ende etwa 20:30 Uhr.
Die Ortsangabe »Schauburg« sucht man vergebens.
Das Programmheft bezieht sich auf die Aufführung des Stücks X Y Z. Ein Spiel zu Dreien in 3 Aufzügen von Klabund am Mittwoch, den 12. Juni 1946. Es war die 250. Vorstellung nach Wiederaufnahme des Spielbetriebs nach 1945. Das Exemplar verzeichnet die (mit Bleistift gekennzeichnete) dritte Aufführung von X, Y, Z sowie deren Beginn 18.30 Uhr und ihr Ende gegen 20.30 Uhr. Links von der durch den Falz markierten Mitte finden sich kurze Angaben zu Leben und Werk des Schriftstellers Klabund (1890 – 1928) sowie zwei seiner Gedichte. Das Stück entstand 1927. Auf der rechten Seite wird das Titelblatt nochmals wiederholt und Besetzungsangaben zum Regisseur Hans Becker, zum Bühnenbildner Heinz Daniel, zu den Rollen X, Y, Z und eines Dieners gemacht. Es spielten Lu Reinheimer, Viktor Stefan Görtz, Herbert Doberauer und Hans Becker (als Schauspieler). Abschließend wurde noch der Inspizient Georg Zimmermann genannt. Eingerahmt wird dieser Besetzungszettel durch jeweils zwei Seiten Werbeanzeigen von 43 Mannheimer Gewerbetreibenden in verschiedenen Schriftarten und Größen bei gelegentlicher Verwendung eines Firmenlogos.
In der ersten, horizontalen Reihe des Anzeigenteils wurden Porträts der Schauspieler Viktor Stefan Görtz, Gertrud Jenne sowie Irene Ziegler und Herbert Doberauer in Passbildformat abgedruckt. Es ist anzunehmen, dass die beteiligten Firmen für Bürobedarf und Schreibmaschinen (mit Angabe der Telefonnummer!) bzw. für Textilwaren und Bekleidung zur Finanzierung der höheren Druckkosten beigetragen hatten. Die beiden abgebildeten Damen sind jedoch nicht etwa die Erst- und Zweitbesetzungen der Produktion X, Y, Z, sondern Mitglieder des Opernensembles. Im Vergleich mit anderen Programmheften wechselten die Personen in der Anzeige immer einmal wieder, waren aber nicht unbedingt mit den tatsächlichen Besetzungen des jeweiligen Stücks abgestimmt. Was den redaktionellen Teil betraf, gab es eine einheitliche Druckvorlage, die innerhalb des begrenzten Umfangs individuell gestaltet werden konnte. In einem Programmheft zu Verneuils Herr Lamberthier finden sich zum Beispiel auf einer DIN A 5-Seite fünf Aufnahmen von Mitwirkenden, die von Photo Kreks in Ludwigshafen und Photo Kuhn in Heidelberg fotografiert wurden.
Es ist ein seltenes persönliches Zeugnis, wie die Schauspielerin Clara Walbröhl das Programmheft von X,Y,Z nutzte. Sie zeichnete eine Kostümskizze darauf und versah sie mit den Farbangaben rot, grün und dunkelgrün. Aus der Schriftprobe können wir schließen, dass sie die Skizze selbst gezeichnet und beschriftet hat. Warum sie dies tat, wissen wir nicht genau. Vielleicht hat sie die Skizze für eine anstehende Produktion, in der sie besetzt war, angefertigt und sie mit einer in der Schauburg diensthabenden Person aus der Kostümabteilung besprochen? Oder handelt es sich gar um Tipps zum Schneidern von Kleidung für den persönlichen Bedarf?

Dr. Laura Bettag
Bildnachweise, Literatur und Links
  • Zeitungsausschnitt vom 15.10.1951 und Programmheft vom 12.06.1946 aus dem Nachlass Walbröhl, MARCHIVUM.
  • Nationaltheater Mannheim (Hg.)(1954).175 Jahre Nationaltheater Mannheim. Dokumente zur Theatergeschichte zusammengestellt und erläutert von Dr. Herbert Stubenrauch, Wilhelm Herrmann, Dr. Claus Helmut Drese, S. 119.
  • Claudia Balk (1998). Von der Pose zum szenischem Moment. Eine Mannheimer Geschichte der Theaterfotografie. In: Liselotte Homering (Hg.)(1998). Mannheim und sein Nationaltheater. Menschen – Geschichte(n) – Perspektiven. Mannheim: Palatium-Verlag, S. 460 – 475.
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