Zeitfenster Nr. 16

Entwürfe des Mosaikfrieses für das neue Nationaltheater

Auf seine Theatertradition ist man in Mannheim zurecht stolz. Beim Wiederaufbau des im 2. Weltkrieg zerstörten Nationaltheaters hatte man sich nach längeren Diskussionen und nicht zuletzt aufgrund von pragmatischen Notwendigkeiten für einen Neubau an anderer Stelle entschieden. Über den architektonischen Bruch mit dem höfischen Theater hinaus, sollte nichts an die jüngste Vergangenheit im Nationalsozialismus erinnern. Noch erhaltenes Inventar aus dem »alten« Theaterbetrieb auf B 3 wanderte ins Museum. Historie und Moderne schienen unvereinbare Gegensätze. Nicht mehr gewollt war ein Theater mit Logen, Rängen und absolutistischen Hierarchien. Der für das Raumprogramm verantwortliche Intendant Hans Schüler hatte klare Vorstellungen von einem zukunftszugewandten Theatergebäude. Was man nicht brauchte, war eine »prunkvolle Innendekoration mit Kristalleuchten, Marmor und Polisanderholz [sic!].« Schülers Auffassung fußte einerseits auf seinem historisch gewachsenen Verständnis des deutschen Theaters und andererseits auf seiner bewussten Wahrnehmung der Nachkriegsgesellschaft. Innerhalb dieses Konfliktfeldes beschwört er geradezu die kultischen Anfänge des Theaters herauf. Die Teilnahme an diesen Handlungen ist lt. Schüler »seit Urzeiten Dienst der Gemeinschaft an den Göttern. Durch ihn wird die Lebensangst gebannt.« Jener Kult »hat sich vom Dämonen bannenden Tanz der Medizinmänner und Priester im Laufe der Jahrtausende zum Theater entwickelt. Seine Urinhalte sind im Grunde immer die gleichen geblieben. Das eigentlich Schöpferische seines Wesens besteht darin, daß es das Althergebrachte aber ewig Junge aus dessen zeitloser Sphäre herauslöst, sich in der Gegenwart von Raum und Zeit neu aneignet und in einem öffentlichen, festlichen Spiel zu einem überhöhten Dasein erweckt.« Diese Vorstellungen zu visualisieren, war die Aufgabe des Bildprogramms für das Nationaltheater. Es galt zumindest in Zitaten, die auf das Theater bezogenen antiken Mythen zu revitalisieren, wenn auch freilich das Gebäude selbst nicht traditioneller griechischer Prägung entsprach.
Anstelle eines Mannheimer Musentempels präferierte man ein modernes und funktionales Theatergebäude auf der Höhe der Zeit. Das neue Nationaltheater ließ mit seinen riesigen Freiflächen aber auch noch viel Raum zur individuellen Projektion eines »Glaubens an innere Sterne, die uns noch unbekannte Wege in eine »heile« Welt (Spranger) weisen.« Die Innenarchitektur fungierte dabei wie eine Art Wegweiser. Deren Auswahl musste daher sorgfältig getroffen werden. Man entschied sich für einen Wettbewerb. Für das Außenmosaik kamen vier Entwürfe von Hans Heinrich Palitzsch (1912 – 2005), Carl Crodel (1894 –1973), Karl Rödel (1907 – 1982) und Hans Leistikow (1892 – 1962) in Frage. Alle Bewerber waren renommierte und mehrfach qualifizierte Bildende Künstler, nicht selten Bühnenbildner und nach dem 2. Weltkrieg auf die angewandte Kunst am Bau spezialisiert. Da nur ein Entwurf realisiert werden konnte, entschloss man sich, die drei anderen zumindest in der Festschrift zu präsentieren (s. Festschrift, S. 190-191).
Ausschnitt Entwurf H.H. Palitzsch. Viele verschiedene Menschen halten ihre Hände hoch.
Ausschnitt Entwurf H.H. Palitzsch
Hans Heinrich Palitzsch war in der Zeit von 1951-1957 als Theatermaler und Bühnenbildner am Nationaltheater Mannheim tätig. Sein Bruder ist der als Regisseur bekannte Peter Palitzsch. An der Freien Akademie Mannheim wurde er Direktionsmitglied und Lehrer für Gebrauchsgraphik und Schrift. Der charakteristische Schillerkopf auf den Spielplanplakaten der Nachkriegszeit stammt von ihm.
Ausschnitt Entwurf C. Crodel. zwei Masken fliegen durch die Luft. auf der rechten Bildhälfte liegen zwischen zwei Vorhängen eine Frau und ein anthroposierter esel zueinander gewandt.
Ausschnitt Entwurf C. Crodel
Der in Marseille geborene Carl »Charles« Crodel war ein vielseitig tätiger und engagierter Künstler. Sein malerisches Werk wurde 1937 als Entartete Kunst beschlagnahmt. Auch nach dem Krieg sah er sich gezwungen, sich immer wieder neue Betätigungsfelder zu erschließen. Crodel interessierte sich für den Bezug der Malerei zur Architektur und schuf großformatige Wandmalereien. Crodel bemühte sich trotz aller persönlichen Brüche in seiner Biografie, die Moderne in der Kunst als kontinuierliche Entwicklung der europäischen Traditionen zu gestalten. Die Kunsthalle Mannheim besitzt neben grafischen Werken von ihm Arbeiten in Glas, Keramik und Email.
Ausschnitt  Entwurf K. Rödel. Abbildung eines bühnengeschehens mit zwei an der wand lehnenden Personen, drei beieinanderstehenden Rittern und zwei zueinandergewandten Personen.
Ausschnitt Entwurf K. Rödel
Karl Rödels Biografie weist einen hohen persönlichen Bezug zu Mannheim auf, wo er auch verstarb. Er arbeitete hauptsächlich als Maler und Lithograf. U. a. war er Schüler von Carl Crodel, ließ sich aber in der NS-Zeit zum Restaurator ausbilden. Im 2. Weltkrieg wurden sein Berliner Atelier und seine Kunstsammlung zerstört. Er ging daraufhin nach Halle und leitete dort ab 1947 die Klasse für Lithografie. 1952 siedelte er nach Mannheim über, wo er eine Kunstschule für Malerei und Grafik gründete. Er hat in Mannheim auch baugebundene Werke, wie das Altarbild in der Friedenskirche und die Kirchenfenster in der St.-Theresia-Kirche, der Unionskirche und der St.- Antonius-Kirche hinterlassen.
Der Entwurf von Hans Leistikow (s. Zeitfenster 14) wurde zur Realisierung ausgewählt und etwas verspätet im Oktober 1958 an der bis dahin leeren Giebelwand zum Ring hin angebracht. Es wirkt deutlich prägnanter und moderner als alle anderen Entwürfe. Möglicherweise eignete sich sein Entwurf auch am besten zur Umsetzung in ein Mosaik.
So unterschiedlich die Ausgestaltung des jeweiligen Frieses im Detail sein mag, so beinhalten sie alle die existentiellen Themen des Theaters, sein Maskenspiel und seine jüngere Herkunft aus der Commedia dell’ arte, dem Shakespeare-Theater und dem Theater des 18. Jahrhunderts. Sie zeigen stark stilisierte Figuren aus Spiel-, Liebes- und Kampfszenen in mehr oder weniger strenger Reihung.
Der Theaterbesuch bot den Eintritt in eine andere und ganz eigene Welt, die sich vom Alltag der Bevölkerung damals stark unterschied. Dieser Sitz der Theaterkünste bot nichts weniger als eine neue Heimstatt für das Publikum an. Hier sollten, wenn auch diskret, Identifizierungsangebote zur Gestaltung der deutschen Nachkriegsgesellschaft gemacht werden – zumindest für die Dauer einer Vorstellung. Im Rückgriff auf die gefühlt ewigen Werte des Theaters, glaubte man die Anforderungen der Zukunft bewältigen zu können.

Dr. Laura Bettag
Bildnachweise, Literatur und Links
  • Kachelbild: MARCHIVUM, Bildsammlung, KF002604
  • Hans Schüler (1957). Die geistige Aufgabenstellung für den Neubau des Nationaltheaters. In: Das Neue Nationaltheater, Festschrift zur Eröffnung des neuen Mannheimer Nationaltheaters am 175. Jahrestag der Uraufführung der »Räuber«, S. 153-160.
  • Wikipedia-Artikel zu den Künstlern Palitzsch, Crodel und Rödel.
  • Sven Friedrich (2022). Neu-Bayreuth? - Mythos und Realität der „Stunde Null“. Vortrag gehalten am 8.6.2022, Fritz-Bauer-Institut, Frankfurt a.M. Abrufbar unter: https://video01.uni-frankfurt.de/Mediasite/Play/7a5ff2b47eee4ff08e118f9d3a07117f1d
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