Zeitfenster Nr. 12

Johanna Schütz-Wolff und ihre Bildteppiche im NTM

Schwarzweiß Foto. Eine Frau schaut ich einen großen Bildteppich einer abstrakten Frau an der Wand an. Auf der Treppe vor der betrachterin steigen drei Frauen hoch.
Die gesamte Innen- und Außengestaltung des neuen Nationaltheaters von 1957 unterlag dem durchkomponierten Farbraumkonzept von Paul Meyer-Speer. Baustoff, Raum und Licht sollten zu einer geordneten Einheit geformt werden, »so daß das neue Bauwerk auch durch den Dienst der Farben seine großen kulturellen Aufgaben erfüllen sollte«. Wesentlich dabei waren die Abstufungen der Farbe Ziegelrot, die mit dem natürlichen Farbton der Lochsteinziegelwände korrespondierten. Von den Lochsteinen versprach man sich eine zusätzliche und »teppichartig« wirkende Strukturierung der Farbfläche.
Auf reale textile Materialien wollte man deshalb nicht verzichten. Sie sollten jedoch in einem feinen Spiel der Übergänge zueinanderstehen und nicht durch kontrastierende Eigenwilligkeit auffallen. Es wurde großer Wert auf wohldosierte Abwechslung und Belebung mittels durchdachter Verwendung von Farbe und Material gelegt. Dafür eigneten sich neben Mosaiken auch Bildteppiche. Mit deren Gestaltung wurden Jean Lurçat und Johanna Schütz-Wolff (1896 - 1965) beauftragt.
Sie war eine Kapazität insbesondere in der Textilgestaltung. Nach ihrer Ausbildung an der Kunstgewerbeschule in Halle-Giebichenstein, wurde sie 1920 zur künstlerischen Leiterin der neu eingerichteten Werkstätte für Weberei berufen. Im dortigen Museum pflegt man bis heute ihr vielgestaltiges Werk ebenso wie in Söcking am Starnberger See, wo sie später bis zu ihrem Tod lebte.
Ihre Textilarbeiten waren thematisch am Expressionismus orientiert. Der Nationalsozialismus beeinträchtigte sie und ihrem Mann, einem evangelischen Theologen, schwer in ihrem Schaffen: 1935 wurde sein Buch Der Anti-Christus von der Gestapo indiziert und die zweite Auflage vernichtet. 1938 wurde einer ihrer Bildteppiche als »entartete Kunst« beschlagnahmt.
Johanna-Schütz-Wolffs Entwurf des Bildteppichs Die tragische Muse für das Nationaltheater von 1957 konnte aus finanziellen Gründen nicht umgesetzt werden. Durch Robert Häussers schwarz-weiß-Aufnahme ihrer 1:1-Vorzeichnung auf Karton kennen wir den vorgesehenen Ort der Hängung bei Aufgang A. Eine im Besitz der Reiss-Engelhorn-Museen existierende farbige Abbildung des Originalentwurfs zeigt eine Menschengruppe in verschiedenen Abstufungen von Erd- und Rosenholztönen. Teils überlagern sich die Farbflächen verbindend, teils werden sie durch eine dunkle Linienführung begrenzt.
Spätestens 1969 wurde die 8 x 7 m große Vorzeichnung der Künstlerin durch den wesentlich kleineren Bildteppich aus Vorbesitz ersetzt. Das Bildmotiv geht auf ihren Farbholzschnitt Drei Frauen zurück.
Die ursprüngliche Aufgabe und Bedeutung der Bildteppiche gerieten nach und nach in Vergessenheit, genauso wie sich der Velours der Geländer und der Bodenbeläge im Großen Haus abnutzte. Die Gründe, warum sowohl Jean Lurçats Gobelin als auch der Bildteppich von Johanna Schütz-Wolff nicht mehr gezeigt wurden, sind nicht mehr bekannt. Ihre Verwahrung trug zumindest zu einem guten Erhaltungszustand bei.
Ein ausgerollter Teppich mit roten, rosa, schwarzen und weißen Linien und Flächen. In ihnen lassen sich Silhouetten von Menschen erkennen.
Bildteppich »Drei Figuren« ausgerollt im Foyer des NTM
Über die funktionelle Belebung des Raumes hinaus scheint der Bildteppich von Johanna Schütz-Wolff trotz aller Hindernisse ein Eigen-Leben entfaltet zu haben. Ihr gelang eine Wirkung, die sie bereits 1925 als ein Von-sich-aus-leben der Weberei nach dem Ideal des mittelalterlichen Bildteppichs beschrieb:
»Die einfarbige Fläche, die in der Malerei tot wäre, hat in der Weberei sinnliches Leben. Die Plastik entbehrt Farbe ohne Einbuße. Die gewebte Figur kann das Lichtspiel, ohne das die gemalte Figur tot wäre, entbehren, da sie durch die Sinnlichkeit und Struktur ihres Fadens, durch die Struktur der verschiedenartigen Durchkreuzung dieser Fäden die Oberfläche eines Lebendigen besitzt, wie die Bronze der Plastik lebendiger Stoff ist. Papier aber oder präparierte Leinwand sind keine Stoffe, die von sich aus leben.«
Dankenswerterweise hat die Enkelin von Johanna Schütz-Wolff, die ihren Nachlass verwaltet, eine Aufnahme aus den 60er-Jahren zur Verfügung gestellt, auf dem Johanna Schütz-Wolff mit ihrem Werk Drei Figuren gemeinsam abgebildet ist:
Der Bildteppich
Bildnachweis: Christiane Haslacher

Dr. Laura Bettag
Bildnachweise, Literatur und Links
  • Kachelbild: © Robert Häusser – Robert-Häusser-Archiv/Curt-Engelhorn-Stiftung, Mannheim
  • https://johanna-schuetz-wolff.de/
  • Johanna Schütz-Wolff (1925). Zum Weben von Bildteppichen. In: Die Form – Zeitschrift für gestaltende Arbeit, Jg. 1 1925-1926, S. 348-349. Digitalisat: https://doi.org/10.11588/diglit.132.11.135
  • Paul Meyer-Speer (1957). Die Farbgebung des neuen Nationaltheaters. In: Das Neue Nationaltheater, Festschrift zur Eröffnung des neuen Mannheimer Nationaltheaters am 175. Jahrestag der Uraufführung der »Räuber«, S. 175-176.
  • Liselotte Homering (Hg.) (1998). Mannheim und sein Nationaltheater. Menschen – Geschichte(n) – Perspektiven. Mannheim: Palatium-Verlag, Farbabbildung XIII, 21.
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