Am Ende triumphieren die Kinder

Ein Interview mit Ulrike Stöck (Intendantin JNTM) und Christian Holtzhauer (Intendant Schauspiel)

Ulrike Stöck und Christian Holtzhauer im Gespräch über »Die Schneekönigin (8+)«
Foto: Christian Kleiner
Nach den erfolgreichen Familienstücken der letzten Jahre bringen das Schauspiel und das Junge NTM wieder gemeinsam ein neues Stück für die ganze Familie auf die Bühne des Alten Kinos Franklin: Hans Christian Andersens »Die Schneekönigin«. Regisseurin Ulrike Stöck und Dramaturg Christian Holtzhauer über Hans Christian Andersen, die Kraft des Erzählens und ihre persönlichen Erinnerungen an eines der bekanntesten Märchen der Weltliteratur.
Christian Holtzhauer:
Ulrike, wann und wo bist du der »Schneekönigin« zum ersten Mal begegnet?

Ulrike Stöck:
Auf jeden Fall war es nicht in Halle, wo ich aufgewachsen bin, sondern womöglich in Leipzig oder Berlin. Ich weiß nur noch, dass es in einem Theater war, das eine größere Bühne als unser Theater in Halle hatte.

CH: Also ich habe den Stoff als Kind nie im Theater gesehen, sondern im Fernsehen, wahrscheinlich ein russischer Märchenfilm. Das muss Mitte der 1980er Jahre gewesen sein. Ich erinnere mich nur noch an eine einzige Szene, und zwar an den Eispalast der Schneekönigin. Der war wirklich spektakulär.

US: Ich erinnere mich, wie toll ich diese vielen verschiedenen Mädchen in der »Schneekönigin« fand: Die Hauptfigur ist ein Mädchen, das total cool ist, es gibt das Räubermädchen, das total cool ist, und eine Prinzessin, die eigentlich auch total cool ist. Die vielen sympathischen, klugen, jungen Frauen in diesem Stück – das ist mir sehr hängen geblieben.

CH: Das Räubermädchen liest sich wie das Vorbild für Ronja Räubertochter oder Pippi Langstrumpf.
Glaubst Du, dass diese starken Mädchenfiguren der Grund sind, warum gerade dieses Märchen bis heute so erfolgreich ist?

US: Gut möglich. Ich glaube, dass aber auch der russische Autor Jewgeni Schwarz an diesem Erfolg maßgeblich beteiligt war. Dessen Fassung wurde jahrelang rauf und runter gespielt. »Die Schneekönigin« ist ja, wie viele andere Märchen von Andersen auch, eigentlich ziemlich düster und schräg. Schwarz hat das verworrene Original in ein klares Prinzip von Gut und Böse überführt. Die böse Königin und der böse Kommerzienrat gegen die guten, einfachen Leute, die am Ende gewinnen.

CH: Das ist eigentlich typisch für Andersens Märchen: Er kam ja selbst aus bitterster Armut und hat sich hochgearbeitet. Im wirklichen Leben hat er sich dem Adel und dem wohlhabenden Bürgertum seiner Zeit angedient, aber in seinen Märchen und Erzählungen liegen seine Sympathien ganz klar bei den »einfachen« Menschen. Die Adeligen werden dagegen oft als lächerlich dargestellt. Denk nur mal an »Des Kaisers neue Kleider«. Und es sind oft die Kinder, die die Wahrheit aussprechen und am Ende triumphieren. Wie in der »Schneekönigin«. Wenn Du beispielsweise die Märchen der Gebrüder Grimm mit denen von Andersen vergleichst – welche gefallen Dir besser?

US: Ich mag eigentlich alle Märchen. Ich hatte als Teenager noch einmal einen schweren Märchen-Schub und habe damals Märchen aus allen Teilen der Welt gelesen. Ich finde interessant, wie in Märchen versucht wird, auf ganz sinnfällige Weise zu erklären, wie man miteinander umgehen, wie man sich miteinander verhalten soll. Die Märchen der Grimms sind mir aber oftzu abgeschliffen, zu ordentlich, zu aufgeräumt. An Andersens Geschichten mag ich, dass sie so assoziativ, mitunter auch dunkel und melancholisch sind.

CH: Die Märchen, die wir aus unserer Kindheit kennen, werden ja kaum noch gelesen. Ist es denn gerade eine
gute Zeit für Märchen?

US: Naja, es wird ja grundsätzlich kaum noch gelesen, daher ist es wahrscheinlich keine gute Zeit für Märchen.
Und gerade deswegen muss man sie wieder lesen. Sie versuchen, in einfachen Bildern von der Komplexität von Menschen und von menschlichen Entscheidungen, Zwängen und Freiheitsansprüchen zu erzählen. Bei den märchenähnlichen Erzählungen, die derzeit so unglaublich populär sind, wie etwa Harry Potter, ist ja das Problem, dass das Böse gar nicht erklärt wird. Es gibt nur das absolut Böse, das besiegt werden muss. Das halte ich
nicht für eine gute Erzählung. In Wirklichkeit gibt es doch das absolut Böse gar nicht, es sind doch immer Menschen, die bestimmte Entscheidungen treffen. Ich bin da eher bei Shakespeare oder eben bei den Märchen, die immer versuchen zu zeigen, warum jemand etwas macht, warum jemand böse ist oder wird. Insofern ist der von Andersen inspirierte Disney-Film »Frozen« eine berechtigte Fortsetzung der »Schneekönigin«. Er erzählt davon, wie es wäre, wenn jemand aus Versehen seine Umwelt mit Eis und Schnee überzieht.

CH: Wie kann oder muss man Märchen heute erzählen?

US: Man braucht eine gute Mischung aus nachvollziehbaren Figuren und Erzählungen als Struktur. Geschichten erzählen – oder auch Vorlesen – ist ja etwas, was bei Kindern immer funktioniert. Bei Erwachsenen übrigens auch.

CH: Darin ist Andersen ein Meister: Seine Texte sind ja weniger als Literatur,die man im stillen Kämmerlein liest, gedacht, sondern als packendes Erzähltheater. Das wird schon am Beginn der »Schneekönigin« deutlich, wenn es heißt: »Seht, nun fangen wir an.« Oder: »Nun werden wir's hören«. So hat sich Andersen die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer*innen gesichert. Einerseits ist er als Erzähler unglaublich sprunghaft,ohne sich um Stringenz oder Logik Gedanken zu machen, und andererseits holt er sein Publikum immer wieder ab, indem er es direkt anspricht.

US: So werden wir in unserer Inszenierung auch starten: Mit einer Gruppe junger Menschen, die sich die Geschichte der »Schneekönigin« erzählen – und auf einmal sind wir mitten drin im Märchen und der Winterlandschaft, die wir ins Alte Kino Franklin hineinsetzen werden.

ZUM STÜCK:
Eines Tages ist Gerdas bester Freund Kay einfach verschwunden. Im Schlitten der rätselhaften Schneekönigin soll er die Stadt verlassen haben. Ganz allein macht Gerda sich auf die Suche nach Kay. Dabei trifft sie auf eigenartige Gestalten: eine alte Zauberin, eine ziemlich energische Prinzessin, ein wildes Räubermädchen und sprechende Tiere. Als Gerda das Schloss der Schneekönigin endlich erreicht, liegt die schwerste Aufgabe erst noch vor ihr.
»Die Schneekönigin« ist eine faszinierende Geschichte über die Kraft der Freundschaft und über den Glauben an sich selbst. In einer eigenen Fassung für das Nationaltheater Mannheim erzählen wir Hans Christian Andersens berühmtes Märchen neu.
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